StVO

Bin ich ein guter Autofahrer?

Laut einer Umfrage bei Statista von 2015 sehen sich 96 Prozent der Autofahrer als “sehr gute” oder “ziemlich gute” Autofahrer. Allerdings ist man automatisch als “schlecht” eingestuft, wenn man sich nicht als sehr gut oder ziemlich gut einschätzt. “Mittelmäßig” ist nicht vorgesehen. Außerdem umfasst das Autofahren viele Teilbereiche, in denen man eventuell unterschiedlich gut ist. Der eine kennt vielleicht die Straßenverkehrsordnung in- und auswendig. Der andere hat ein gutes räumliches Abstraktionsvermögen. Der nächste hat vielleicht mehr Übung bei winterlichen Fahrten im Schnee als andere. Solche (methodisch häufig schlecht gemachte) Umfragen können also nur einen völlig subjektiven Eindruck liefern. Ähnlich der Ergebnisse in der genannten Statistik sind aber auch die Ergebnisse bei einer Umfrage bei Fahrschule-Online. Die meisten Autofahrer sind von ihrem Können überzeugt.

Sind Raser gute Autofahrer?

Doch was macht einen guten Autofahrer eigentlich aus? Einige … nunja … manche Proleten scheinen zuweilen der Meinung zu sein, dass man ein guter Autofahrer ist, wenn man mit einem hochmotorisierten Sportwagen mit völlig überhöhter Geschwindigkeit und dröhnendem Auspuff durch eine Stadt rasen und sich illegale Straßenrennen liefern kann.

Etwas überspitzt formuliert, ist dies aber eine “Leistung”, die man selbst einem dressierten Affen zutrauen kann. Die eigentliche Leistung hat dabei nicht der Raser vollbracht, sondern die Techniker und Konstrukteure, denen es gelungen ist, Fahrzeuge zu entwickeln, die so einfach zu bedienen sind, dass selbst jemand, der kaum von der Tapete bis zur Wand denken kann, problemlos hohe Geschwindigkeiten erreichen kann. Viel mehr, als ein Pedal durchdrücken und ein Lenkrad bewegen, muss ein Raser nicht können. Er muss nicht verstehen, wie die Elektrik, ein Steuergerät oder der Motor funktioniert. Er muss nicht mit Ausdehnungskoeffizienten und Haftreibungswerten rechnen können. Er muss nicht wissen, wie die nötigen Schmier- und sonstigen Betriebsstoffe zusammengesetzt sind oder wie man in einer Erdölraffinerie Benzin oder Diesel herstellt. Er muss auch nicht wissen, wie ein Getriebe aufgebaut ist oder wie man Stahl so härtet, dass es den enormen Belastungen standhält. Er muss auch nicht die Spur einstellen oder die Dimensionierung der Bremsen berechnen können. Alle komplizierten Arbeiten haben andere Menschen übernommen, sowohl bei der Konstruktion als auch beim Bau des Fahrzeuges. Der Raser muss sich nur hinters Lenkrad setzen, den Zündschlüssel herumdrehen oder den Start-Knopf drücken und Gas geben.

Wer Beurteilt die Fähigkeiten?

Schnell fahren ist also kein Kriterium, dass einen guten Autofahrer ausmacht. Aber was könnte dann einen guten Autofahrer ausmachen? Das ist schwer zu sagen. Beim Autofahren gibt es nicht viele Kontrollen und Überprüfungen. Bestenfalls oberflächliche Geschwindigkeitskontrollen. Wenn ein Autofahrer zu schnell durch ein Schlagloch fährt, hat das keine Auswirkungen auf seinen Status. Anders sieht es in der kommerziellen Fliegerei aus. Ein großen Linienflugzeug darf beim Landen durchaus auch mal härter aufsetzen. Die dabei wirkenden G-Kräfte sind zwar für die Passagiere zwar unangenehm, das Flugzeug hat damit aber keine Probleme. Anders hingegen sieht es bei einer “butterweichen” Landung aus. Diese mag für die Passagiere überaus angenehm sein, so dass sie begeister Applaus klatschen. Währenddessen meldet jedoch vielleicht ein Computer der die Landung überwacht hat an die Airline, dass der Pilot das Flugzeug falsch gelandet hat, und eventuell eine Nachschulung in Erwägung gezogen werden sollte, weil bei dieser Art der Landung für das Flugzeug sehr ungünstige Kräfte wirken.
Im Gegensatz zu einem Autofahrer werden Piloten umfassend überwacht. Die Airline wacht über die Handlungen und Verhaltensweisen der Piloten. Die verschiedenen Beteiligten, wie der zweite Pilot, die Vorfeldkontrolle oder die Fluglotsen haben einen Blick darauf, wie sich der Pilot verhält. Es sind regelmäßige Gesundheitschecks zum Erhalt des medizinischen Tauglichkeitszeugnisses und auch Demonstrationen der Fähigkeiten in normalen und außergewöhnlichen Flugsituationen notwendig, um die Musterberechtigung (englisch Type Rating), also die Berechtigung zum Führen eines bestimmten Luftfahrzeugmusters, nicht zu verlieren. Und selbst das Flugzeug analysiert mitunter das Verhalten des Piloten. Piloten können kaum völlig unbemerkt Fehler machen. Es können sich also auch kaum schlechte Verhaltensmuster einschleichen. Dazu tragen Trainings spezieller Situationen und Abläufe im Simulator und bei echten Flügen bei. Ebenso müssen vor, während und nach den Flügen unzählige Check-Listen immer und immer wieder penibel abgearbeitet werden. Außerdem werden die Flugzeuge aufwändig gewartet und gepflegt.
Um all diese Dinge kümmert sich kein Autofahrer. Im besten Fall läuft ein Autofahrer vor der Fahrt einmal ums Auto und überprüft, ob in den Reifen ungefähr genug Luft ist oder ob ein Gegenstand vor dem Auto liegt. Den Ölstand oder den Kühlmittelstand oder das Scheibenwischwasser überprüft wohl kein Autofahrer vor jeder Fahrt. Das Getriebeöl oder das Hydrauliköl in der Servolenkung kennen die meisten Autofahrer vermutlich nichteinmal. Die Profiltiefe vom Reifen wird wohl auch nur selten überprüft. Genausowenig, wird vor den Fahrten geprüft, ob die Reifen sichtbare Schäden aufweisen. Wir fahren also schon mit einem Auto los, über dessen technischen Zustand wir nichts sagen können. Alle zwei Jahre mal ein paar Minuten zur Hauptuntersuchung fahren, reicht für ein umfassendes Lagebild gewiss nicht aus. Ein Linienpilot wäre bei solch einer Schludrigkeit seinen Job schon los, noch bevor er die Startbahn erreicht hätte. Ein Autofahrer kann sich immer noch als hervorragenden Fahrer bezeichnen.

Situationsbewusstsein

Die wenigsten Autofahrer werden auch nicht permanent einen Plan haben, wie sie im Falle eines plötzlichen Motorausfalls sofort einen sicheren Nothalteplatz erreichen können. Ein guter Pilot hat zu zu jedem Zeitpunkt einen Plan, wie und wo er das Flugzeug im Falle eines Problems sicher zu Boden bringen kann. Dies können bei der Startphase Notlandemöglichkeiten auf einem Acker sein, oder aber Ausweichflughäfen beim Reiseflug. Ein solches Situationsbewusstsein ist Autofahrer häufig fremd. ganz im Gegenteil sind Autofahrer teilweise noch mit Musik abgelenkt oder telefonieren. Egal wie abgelenkt ein Autofahrer war, so kann er sich doch am Ende des Tages weiterhin als guten Autofahrer bezeichnen, wenn er unfallfrei am Ziel angekommen ist.

Schludrigkeiten

Wenn ein Pilot die Mindesthöhe beim Überfliegen beispielsweise eines Bergrückens nicht einhält, dann kann das ernste Folgen haben. Unerwartete Hindernisse oder Lee-Turbulenzen können zum Absturz führen. Ein gewissenhafter Pilot wird sich dessen bewusst sein und bei Unterschreitung der Mindesthöhe nicht leichtfertig sagen “ist doch gut gegangen und war sogar noch Luft dazwischen, das nächste mal kann es auch noch etwas knapper sein”. Der Pilot wird eher versuchen, den Fehler das nächste Mal nicht mehr zu machen. Ein Autofahrer, der Radfahrer außerorts überholt und dabei nicht die vorgeschriebenen zwei Meter Abstand einhält, sondern nur 1,90 Meter, wird bald lernen, dass dieser Abstand auch reicht und den Abstand vielleicht sogar unmerklich immer weiter reduzieren, weil ja immer genug Platz war. Irgendwann fährt der Autofahrer dann mit einem Meter Abstand oder gar noch weniger an Radfahrern vorbei und kann sich immer noch als guten Autofahrer bezeichnen, weil ja noch nichts passiert ist. Dass er bei jedem Überholen potentiell lebensgefährliche Fehler macht, ist dem Autofahrer nicht bewusst. Vielleicht sieht er sich sogar als tollen Hengst, der ohne viel Abstand an Radfahrern vorbeirasen kann und glaubt, die Situation unter Kontrolle zu haben.

Mangelndes Theoriewissen

Autofahrer können sich im Straßenverkehr bewegen, ohne die Straßenverkehrsordnung umfassend zu kennen und auch über aktuelle Änderungen informiert zu sein. Eine Möglichkeit, sein Wissen in simulierten theoretischen Führerscheinprüfungen zu testen, gibt es bei der Süddeutschen Zeitung. Wer hier nicht zuverlässig alle Fragen richtig beantwortet, dem fehlen schon die theoretischen Grundlagen, sich sicher im Straßenverkehr zu bewegen. Ein Großteil der Teilnehmer fällt durch. Dies steht im krassen Gegensatz zu Selbsteinschätzung.

Mangelnde Physikkenntnisse

Vielen Autofahrern fehlt aber nicht nur Struktur und Übung, sondern es mangelt auch auch an den notwendigen Kenntnisse über physikalische Grundlagen. Piloten sind sich der Tatsache bewusst, dass es bei zu hohen oder zu niedrigen Geschwindigkeiten zu einem Strömungsabriss kommen kann und das Flugzeug in er Folge ins Trudeln gerät und abstürzen könnte. Viele Autofahrer wissen nichteinmal, welche die spurführende Achse ist und entsprechend dafür sorgt, dass das Fahrzeug sicher in der Spur bleibt. Dabei ist dieses Wissen insbesondere führ Autofahrer wichtig, die gerne schnell fahren. Wer schnell fährt, muss manchmal auch fest bremsen. (Übrigens, wie weit ist eigentlich gemäß Faustformel der Reaktions- und Anhalteweg bei 200 km/h? Wie sieht es bei einer Gefahrenbremsung aus? Hier gibt es die Formeln!) Spurführend ist die hintere Achse. Entsprechend wichtig ist auch, dass dort ausreichend Profil auf den Reifen vorhanden ist. Bei einer festen Bremsung wird aber die Vorderachse stärker belastet, während die spurführende Hinterachse entlastet und dadurch dort die Traktion verringert wird. Das Fahrzeug kann beim starken Bremsen also plötzlich ins schlingern geraten, ausbrechen und sich überschlagen. Es ist dann häufig nicht die Fähigkeit der Fahrer, welche die Situation rettet, sondern ein gutes Fahrwerk, die Stoßdämpfer, gut abgestimmte Dimensionierung der Bremsen und elektronische Helfer, welche das Fahrzeug stabil halten. Der Fahrer kann sich nach einer solch missglückten Bremsung immer noch als guten Fahrer bezeichnen, weil er nicht von der Straße geflogen ist, aber eigentlich hat das Auto ihn gerettet, dass dank der Leitung unzähliger Ingenieure, Techniker und Mechaniker besser fahren kann, als die meisten Fahrer es je können werden. Aber im Gegensatz zu einem Flugzeug, dass die Lande-Künste eines Piloten bewertet, mischt sich ein Auto nicht in die Bewertung der Fähigkeiten des Fahrers ein. Dadurch dürften viele Autofahrer völlig ungerechtfertigt “gut dastehen”, wenn es um den Anschein ihrer fahrerischen Leistungen geht.

Was macht einen guten Autofahrer aus?

Wie also sollte man die Leistung eines Autofahrers bewerten? Was macht einen wirklich guten Autofahrer aus? Ein guter Autofahrer muss sich vor jeder Fahrt darüber vergewissern, dass sein Fahrzeug in einem guten Zustand ist. Ein guter Autofahrer ist sich über seine Situation jederzeit bewusst. Ein guter Autofahrer ist nicht abgelenkt. Ein guter Autofahrer fährt nicht, wenn er sich dazu nicht vollumfänglich in der Lage sieht. Ein guter Autofahrer lässt seinen Gesundheitszustand regelmäßig ärztlich überprüfen. Ein guter Autofahrer kennt die Straßenverkehrsordnung nahezu auswendig. Ein guter Autofahrer hält die penibel Regeln ein, da kleinere Schludrigkeiten unbemerkt immer umfangreicher und damit immer gefährlicher werden können. Ein guter Autofahrer kennt die wesentlichen physikalischen Zusammenhänge und ist sich bewusst, dass eine große Masse, die mit hoher Geschwindigkeit bewegt wird eine hohe Energie hat und damit ähnlich einer Waffe eine Gefahr für alle Beteiligten darstellen kann. Ein guter Autofahrer analysiert seine Fahrweise permanent möglichst ehrlich und holt sich die Meinung anderer kompetenter Fahrer ein. Ein guter Autofahrer hat in jeder Situation die Kontrolle und sorgt dafür, dass er nicht (selbstverschuldet) in eine Situation kommt, in welcher er die Kontrolle verliert. Ein guter Autofahrer gefährdet keine anderen Verkehrsteilnehmer. Ein guter Autofahrer nimmt auf andere Rücksicht und belästigt andere Menschen und auch Tiere nicht mit einem lauten Sportauspuff und heulenden Motoren.

Diese Punkte gelten auch für LKW-Fahrer und Motorradfahrer.

Ein Autofahrer, LKW-Fahrer oder Motorradfahrer, der sich so verhält wie ein gewissenhafter, gut ausgebildeter Linienpilot in einem Großraumflugzeug, der kann vermutlich besten Gewissens als guter Fahrer bezeichnet werden. Wer schlampig fährt, Grünpfeile bei roter Ampel überfährt oder nichteinmal weiß, was der Unterschied zwischen einem Grünpfeil und einem grünen Pfeil ist, der ist vermutlich kein guter Fahrer.

Und was ist nun mit den weniger guten Autofahrern?


Song zum Tempolimit: Freiheit | extra 3 | NDR
Song zum Tempolimit: Freiheit | extra 3 | NDR
 0