Berichte

Streiken für einen Hungerlohn

Die Einkommen und die Vermögen sind überaus ungleich verteilt und die Schere zwischen Arm und Reicht geht immer weiter auseinander. Das ist kein Geheimnis. Natürlich ist es auch richtig, dass jemand, der mehr leistet auch ein größeres Einkommen und ein größeres Vermögen hat als jemand, der weniger leistet. Leider sind diejenigen, die mit eigenen Händen arbeiten und der Gesellschaft einen Nutzen bringen, diejenigen, die eher im unteren Bereich der Einkommensskala zu finden sind. Spekulanten, Zinsgewinner und Menschen, die andere für sich arbeiten lassen sind hingegen an der Spitze der Einkommensskala zu finden. Folglich wird man mit aufrichtiger Arbeit kaum zu einem nennenswerten Vermögen kommen. Wer jedoch durch eine Erbschaft oder die Arbeit vieler Angestellter reich wurde, kann das Vermögen spielend leicht immer weiter ausbauen.

Lockführer gehören offensichtlich wie auch 90 Prozent ihrer Mitmenschen zu den Verlierern in diesem System. Im Zweifelsfall werden Lockführer wie die Bauern auf einem Schachfeld geopfert. Für einen Hungerlohn müssen sie zu Unzeiten arbeiten. Mal beginnt die Schicht um 2 Uhr in der Nacht. Am nächsten Tag um 16 Uhr nachmittags und dann vielleicht um 8 Uhr morgens. An einen ordentlichen Schlafrhythmus ist da nicht zu denken. Wenn die Lockführer nun für eine Lohnerhöhung streiken, bleiben aber wesentliche Probleme weiterhin ungelöst. Selbst mit ein paar Geldstücken mehr in der Tasche (was dann immer noch viel weniger ist, als angemessen wäre), müssen sie in folge der aberwitzigen Schichtarbeitszeiten übermüdet einen Zug mit hunderten Berufspendlern, Schülern und Reisenden fahren. Jeder, der einmal bei einer langen Autobahnfahrt schläfrig wurde und sich zwingen musste, die Augen offenzuhalten, kann sich die wahnsinnige Belastung vielleicht ein bisschen vorstellen.
Wenn ich also in meinen Artikeln die Bahn kritisiere, müssen sich die Lockführer und die vielen anderen Menschen, die den Laden trotz der widrigen Voraussetzungen einigermaßen am Laufen halten, nicht angesprochen fühlen. Die Bahnvorstände und Politiker hingegen dürfen durchaus einmal einen Blick in den Spiegel werden, in sich hineinlauschen und sich überlegen, wie sie ihre Aktivitäten mit ihrem Gewissen in Einklang bringen können.

Während Lockführer bis zum Umfallen Schuften und dafür kaum genug Geld zum leben bekommen, fließt den Ultrareichen das Geld immer schneller zu, als sie es jemals ausgeben könnten. Wie gesagt, ist es richtig und in Ordnung, wenn man für gute Leistung mehr erhält als andere. Aber die Ultrareichen müssen eben überhaupt keine Leistung erbringen und erhalten dafür mehr Geld, als es ein Arbeiter jemals schaffen könnte. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie weit der Irrsinn mittlerweile gekommen ist, schauen wir uns einfach das Beispiel des Amazon-Günders Jeff Bezos an. Die Gründung seines Unternehmens war eine beachtliche Leistung und somit ist ein gewisser Wohlstand auch berechtigt. Allerdings wird seine aberwitzig hohes Einkommen nun von den Mitarbeitern erarbeitet, die ihrerseits eher schlecht entlohnt werden. Hinzu dürften Zins- und Spekulationsgewinne kommen. Amazon ist zudem nicht nur ein Online-Versandhändler, sondern auch ein Anbieter für Cloud-Server (AWS). Selbst wer bei Amazon keine Produkte kauft, wir über Umwege dennoch einen Teil zum Einkommen des Milliardärs beitragen. Ein Abo bei Netflix? Gut, damit fließt ein Teil des Geldes an Herrn Bezos, denn Netflix nutzt die Rechnerleistung der AWS-Cloud. Steuervergünstigungen und Subventionen mit Steuergeldern erhöhen das Einkommen des Amazon-Gründers weiter. So ziemlich jeder Mensch wird ziemlich direkt oder über Umwege am Vermögenszuwachs mitwirken. Entziehen kann man sich praktisch nicht. Da hilft es auch nur wenig, sein Amazon-Konto zu kündigen. Das Netflix-Konto muss auch gekündigt werden. Steuerzahlungen sollten ebenfalls vermieden werden, da die Politiker andernfalls dieses Geld nehmen und zu Amazon transferieren. Und wenn man Schon Herrn Bezos wegen seines dekadenten Verhaltens boykottiert, kann man auch gleich die anderen Ultrareichen und deren Dienstleistungen boykottieren. Dann muss man jedoch weit Abseits der Zivilisation sein Dasein fristen und vom eigenen Gartenbau oder vom Sammeln von Kräutern und Beeren leben.

Wenn die Lockführer nun ein ganzen Land in weiten Teilen zum Stillstand bringen müssen nun ein paar Geldstücke mehr zu erhalten, können sie ihren Lohn für eine harte und verantwortungsvolle Arbeit ja mal in Relation zum Einkommen eines Ultrareichen, wie Jeff Bezos setzen.

Wie “Bloomberg” berichtet, steigerte sich Jeff Bezos’ Reichtum seit Beginn des Jahres somit um 56,7 Milliarden Dollar – bis zum 1. Juli, also dem Tag, an dem diese Neuigkeit durch die Medien ging, hatte das Jahr 182 Tage. 182 Tage, in denen 56,7 Milliarden Dollar auf Jeff Bezos’ Konto flossen.

Rechnet man durch, wie viel Geld das pro Monat macht, kommt man auf 9,45 Milliarden. Pro Tag verdiente Bezos dieses Jahr somit 311 Millionen Dollar. Pro Stunde verdiente er zwölf Millionen, pro Minute 216.000 Dollar – und pro Sekunde etwa 3600 Dollar. Und ihr so?

Quelle: So viel Geld verdient Jeff Bezos in einer Sekunde

Das Geld erhält Herr Bezos auch dann, wenn er einfach in einer Hängematte liegt und die Wolken anschaut. Jeff Bezos bezieht sein Einkommen gewiss im Rahmen der bestehenden Gesetze. Diese gestatten solche Vermögenszuwächse von 3600 Dollar pro Sekunde nicht nur, sondern fördern sie auch. Insofern ist daran nichts auszusetzen. Herr Bezos muss für das Geld nicht eine Minute streiken. Er erhält es einfach. Während wir über ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1000 Euro pro Monat diskutieren, erhalten andere Menschen ein bedingungsloses Spitzeneinkommen von tausenden Dollar pro Sekunde.
Es zeigt aber, dass Demonstrationen für einen etwas höheren Arbeitslos langfristig keinen Nutzen bringen. Denn die Umverteilung der Vermögen von den fleißigen arbeitenden Menschen zu den Ultrareichen wird sich auch in Zukunft immer weiter beschleunigen. Dieser Mechanismus läuft permanent ab und ist krisensicher. Auf welchem Wege die Umverteilung stattfindet, ob direkt über den Kauf von Produkten oder Dienstleistungen oder indirekt über Subventionen und Steuern oder über Spekulations- und Zinsgewinne, ist belanglos. Fakt ist, dass die Umverteilung stattfindet und sicher ist, dass dies so bleiben wird und an Geschwindigkeit ständig zunimmt. Auf die dafür zugrundeliegenden Regeln haben sich die gewählten Politiker im Namen des Volkes geeinigt und die Regeln werden nicht in Frage gestellt. Daran hat bislang keine Wahl etwas geändert und auch in näherer Zukunft werden Wahlen daran wohl nichts ändern.
Einzelne arbeitende Menschen mögen für sich durch Streiks eine kleine Lohnerhöhung aushandeln können. Der Preis dafür ist jedoch hoch. Die Wirtschaft wird schwer geschädigt. Das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs wird zerstört. Logistigketten werden unterbrochen. Kurz gesagt, die Wirtschaft wird schwer geschädigt. Unglücklicherweise ist der eingeplante Umverteilungsmechanismus auf Dauer nur umsetzbar, wenn die Wirtschaft schneller wächst, als das Vermögen von den armen arbeitenden Menschen zu den Vermögenden fließt. (Ja, die Wirtschaft muss schneller als die Umverteilung wachsen. Aufgrund der Inflation würde ein Wachstum, das mit dem umverteilten Vermögen nur gleichauf liegt, nicht genügen.) Ist das Wirtschaftwachstum nicht ausreichen, werden nicht die Zahlung an die Ultrareichen eingestellt, sondern die arbeitenden Menschen müssen die Verluste ausgleichen und den Gürtel enger schnallen. Über längere Sicht schießen sich die arbeitenden Menschen mit Streiks für eine kurzfristige Besserstellung nur selbst ins Knie.
Eine wirkliche Verbesserung für alle Menschen auf der Welt und auch für die Natur und die Umwelt ließe sich nur erzielen, wenn der ins Geldsystem eingebaute Umverteilungsmechanismus beendet wird und Einkommen einigermaßen in einen sinnvollen Zusammenhang mit der erbrachten persönlichen Leistung gebracht werden. So lange dies nicht der Fall ist, werden die Probleme mit jedem Jahr und die mit den Überlebenskämpfen einhergehende Gewalt immer schlimmer. Dann können wir uns in den Untergang streiken.
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