Berichte

Dieselskandal bei Volkswagen

Das Einhalten der Abgasvorschriften für Fahrzeuge ist gewiss nicht billig und mit unerfreulichen Kompromissen verbunden. Verschiedene Stickstoff-Sauerstoff-Verbindungen, sogenannte Stickoxide, reizen und schädigen beispielsweise die Atmungsorgane. Unglücklicherweise entstehen diese schädlichen Gase zum Beispiel bei der Verbrennung fossiler Energieträger. Nun möchten viele Kunden gerne mit möglichst großen und schweren Fahrzeuge durch die Städte cruisen oder mit hoher Geschwindigkeit über die Autobahnen heizen. Wie sonst soll man seinen Mitmenschen zeigen, was man sich leisten kann und was für ein toller Typ man ist? Mit sozialen Kompetenzen und rücksichtsvollem Verhalten kann man in einer modernen Ellenbogengesellschaft schließlich keinen Blumentopf mehr gewinnen.

Hocheffizient auf dem Papier

Dass große und schwere Fahrzeuge reichlich Energie benötigen, um die Trägheit zu überwinden und das Gefährt in Bewegung zu setzen, ist kein Geheimnis. Die erstmalige Formulierung des Trägheitsgesetzes in der heutigen Form geht auf Isaac Newton zurück, der 1687 in seinem ersten Axiom postuliert: „Ein Körper verharrt in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen geradlinigen Bewegung, solange die Summe aller auf ihn einwirkenden Kräfte Null ist.“
Wer also mit einem schweren Auto schnell fahren will, muss viel Treibstoff aufwenden. Wenn jedoch viel Treibstoff verbrannt wird, entstehen auch entsprechend viel schädliche Verbrennungsprodukte, wie die bereits genannten Stickoxide. Entsprechend schwierig ist es, Umweltschutzgesetze einzuhalten. Findige Lobbyisten haben erreicht, dass der Schadstoffausstoß bei den Bewertungen in Relation zum Fahrzeuggewicht gesetzt wird. So ist es möglich, dass große, schwere Spritfresser auf dem Papier erstaunlich gute Effizienzwerte aufweisen, während Kleinfahrzeuge, die absolut gesehen viel weniger Schadstoffe ausstoßen, sehr schlecht dastehen.[1] Ja, man sollte eben keiner Statistik trauen, die man nicht selbst gefälscht hat, wie der Volksmund zu berichten weiß.

Schadstoffreduktion durch Konstruktion

Der Option zum Schönrechnen sind natürlich Grenzen gesetzt. Irgendwann muss tatsächlich der Schadstoffasustoß reduziert werden, um die Grenzwerte zu erreichen. Das geht recht einfach: Kleinere, leichtere Autos bauen. Nein, das war natürlich nur ein Scherz. Ein Auto muss groß und schwer sein, sonst taugt es nicht zum Angeben vor Freunden und Feinden. Deshalb kommt nun der nächste Trick ins Spiel. Clevere Forscher haben herausgefunden, dass durch Reduzierung der Verbrennungstemperatur die Menge der entstehenden Stickstoff-Sauerstoff-Verbindungen verringert werden kann. Dies kann erreicht werden, indem ein sogenanntes Abgasrückführungsventil (AGR) direkt hinter dem Abgaskrümmer eingebaut wird. Über dieses Ventil wird ein Teil der Abgase wieder zurück in die Zylinder geleitet und dadurch die Verbrennungstemperatur gesenkt. Zusätzlich kann zum AGR-Ventil auch ein Abgasrückführungskühler verbaut sein, der die Temperatur der zurückgeleiteten Abgase und dadurch die Verbrennungstemperatur weiter senkt.[2]
Jetzt kommt der Haken an der Sache. AGR-Ventile sind teuer und gehen je nach Gebrauch mehr oder weniger schnell kaputt. Die kühlere Verbrennung hat einen Rußanstieg im Abgas zur Folge. Teile der Abgase werden durch das Ventil geleitet und damit auch der darin enthaltene Ruß. Je besser der Mechanismus funktioniert, um so schneller verrußt das Ventil ironischerweise (Versottungsschäden).[3] Das alte Ventil muss ausgebaut und gereinigt oder ausgetauscht werden. Das ein Bauteil, von dessen Existenz die meisten Autofahrern nichteinmal etwas wissen, plötzlich ständig kauptt geht, ist den Kunden natürlich etwas schwer zu vermitteln. Wäre es da nicht eine raffinierte Idee, die Ventile nur bei Bedarf einzusetzen, die Rußentstehung so zu reduzieren und die Lebensdauer zu erhöhen? Gewiss! Nur wann besteht Bedarf? Wenn das Auto an einem Kindergarten oder der Grundschule vorbeifährt, um den Nachwuchs standesgemäß zur Spielgruppe oder dem Unterricht zu bringen? Eher nicht. Besteht Bedarf, wenn das Auto auf dem Prüfstand steht? Absolut! Und da viele Fahrzeuge intelligenter als ihre Fahrer zu sein scheinen, fällt es den Autos auch nicht schwer zu erkennen, wann ein Prüfer sie im Auge hat. Wenn sich die Räder rasant drehen, aber ansonsten keine Bewegung festzustellen ist, dann steht das Fahrzeug wohl auf einem Prüfstand und da möchte es natürlich damit glänzen, wie sauber es doch sein kann. Also wird das AGR-Ventil während der Prüfung intensiv eingesetzt und der Stickoxidausstoß reduziert. Solche Tricks sind lange Zeit nicht aufgefallen. Die Autos sind also offensichtlich nicht nur schlauer, als die Fahrer, sondern auch noch schlauer als viele Prüfer, die offensichtlich mehr Gehalt bekommen, als sie verdienen.
Aufgefallen sind diese Täuschungen irgendwann dann doch, und zwar der US Umweltschutzbehörde Environmental Protection Agency, nachdem Mitarbeiter Fahrzeuge unter realen Fahrbedingungen getestet hatten und dabei feststellten, dass die Grenzwerte entgegen der Laborerfahrungen nicht eingehalten wurden.

Softwareupdate

Die Vorspiegelung falscher Tatsachen oder die Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen, um einen Irrtum zu erregen, um sich oder Dritte zu bereichern, wird im Strafgesetzbuch unter § 263 als Betrug bezeichnet. Für besonders schwere Fälle, also beispielsweise bei gewerbsmäßigem Betrug, sind Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren vorgesehen.[4] Aber keine Angst, den Verantwortlichen wird zumindest in Deutschland wenig passieren. Während jemand, der beim Falschparken erwischt wird ziemlich sicher einen Strafzettel bekommt, werden die armen Verantwortlichen bei den Fahrzeugkonzernen eher nicht von der Justiz belästigt werden. Ganz im Gegenteil. Damit es für die Konzerne nicht zu teuer wird, müssen sie ihren Kunden keine neuen Motoren einbauen, welche die Grenzwerte ohne Tricks einhalten. Sie dürfen die Probleme mit einem simplen Softwareupdate beheben. Dadurch besteht natürlich für die ohnehin schon geschädigten Kunden, die viel Geld für Fahrzeuge bezahlten, welche nicht halten, was versprochen wurde, die Gefahr, dass durch die Updates die Leistung der Fahrzeuge nachträglich reduziert wird und der Wartungsaufwand und die damit verbundenen Kosten steigen. Klar, wenn das AGR-Ventil nun beispielsweise auch in freier Wildbahn, also vor Schulen und Kindergärten eingesetzt wird, steigen im normalen Alltag Kraftstoffverbrauch und die Rußbildung nimmt zu. Dies belastet das AGR-Ventil selbst und Dieselrußpartikelfilter werden ebenfalls zusätzlich strapaziert. Die Autohersteller werden im Zuge des Updates den Kunden gewiss nicht zusichern, dass die beim Kauf versprochene Leistung erhalten bleibt und keine Folgeschäden entstehen werden. Entschädigungszahlungen sind zumindest in Deutschland auch nicht zu erwarten.
Wer diese Einschränkungen, die Hersteller zum Kaufzeitpunkt der Fahrzeuge noch erfolgreich unterdrücken konnte, nicht nachträglich in Kauf nehmen möchte und auf das Update verzichtet, muss damit rechnen, dass er aufgrund drohender politisch gewollter Dieselfahrverbote in einigen Städten sein Fahrzeug nur noch eingeschränkt nutzen kann. Während die industriefreundliche Politik den Konzernen den Rücken deckt, muss der ahnungslose Kunde zusehen, wie sein Fahrzeug fast so schnell an Wert verliert, als wäre er mit Anlauf gegen einen Brückenpfeiler gefahren. Wer würde schon viel Geld für einen Gebrauchtwaren bezahlen, der vor der Stadtgrenze abgestellt werden muss, weil er die Grenzwerte nicht einhält oder der gegebenenfalls nachträglich gleich ganz die Zulassung entzogen bekommt?[5]

VW-Chef gegen Subvention von Diesel-Treibstoff

Und wie zum Hohn spricht sich nun auch noch der Volkswagen-Chef Matthias Müller gegen die Subvention von Diesel-Kraftstoffen aus. Zuerst werden die Kunden animiert Diesel-Fahrzeuge zu kaufen, indem aufgrund einer politischen Entscheidung die Steuern auf Diesel-Treibstoffe gegenüber Benzin-Treibstoffen niedriger gehalten werden. Über den Verkauf von Diesel-Fahrzeugen dürfte sich der Konzern-Chef nicht beschwert haben, schließlich haben diese Verkäufe dazu beigetragen, dass sein Unternehmen Milliardengewinne eingefahren hat. Nun halten unter anderem einige Fahrzeugmodelle des Volkswagen-Konzernes die Grenzwerte für bestimmte Schadstoffe nicht ein und die Politiker bestrafen die betrogenen Kunden zusätzlich durch drohende Fahrverbote und einem damit einhergehenden Wertverlust der gekauften Fahrzeuge, anstatt die Verantwortlichen beim Konzern zur Rechenschaft zu ziehen und in die Haftung zu nehmen. In dieser Situation setzt der Volkswagen-Chef noch eins drauf und sticht seinen Kunden bildlich gesprochen ein Messer in den Rücken, indem er höhere Preise für den Treibstoff fordert. Hier scheint den Beteiligten jedes bisschen Anstand abhanden gekommen zu sein. Was mögen die Hintergründe sein?[6] Vielleicht der Gedanke “Wenn wir keine Diesel-Fahrzeuge mehr verkaufen, weil wir die Grenzwerte nicht einhalten können, dann soll die Konkurrenz auch keine solchen Fahrzeuge mehr verkaufen!”?

Subvention von Diesel-Fahrzeugen

Nachdem die Kunden nun von den Fahrzeugherstellern über den Tisch gezogen und von den Politikdarstellern dafür bestraft wurden, möchte – was für eine Überraschung – ein zunehmender Teil der Kunden keine Diesel-Fahrzeuge mehr kaufen. Das ist natürlich schlecht für den Absatz und deshalb überlegen Politiker, das Geld der Steuerzahler, die keine Diesel-Fahrzeuge kaufen können oder wollen, dafür zu verwenden, den Absatz von Diesel-Fahrzeugen anzukurbeln.[7]
Natürlich sollen die Subventionen nur für abgasarme Fahrzeuge gelten, also für solche, bei denen die Prüfer noch nicht herausgefunden haben, wieso die Messgeräte so schön niedrige Werte anzeigen. Und wenn sie dann irgendwann herausfinden, wie der Trick funktioniert, dann kann man den Kunden ja einfach wieder dafür bestrafen, dass er sich hat betrügen lassen.


Weiterführende Informationen:
Crash der Autobranche – “Bärendienst für den Diesel”


Literaturverzeichnis:
[1]
So werden Autokäufer bei Abgaswerten getäuscht – CO2-Ausstoß; Die Welt; Nikolaus Doll; https://www.welt.de/wirtschaft/article117522400/So-werden-Autokaeufer-bei-Abgaswerten-getaeuscht.html; 28.06.2013
[2]
Was ist ein AGR-Ventil? – Aufgabe und Funktion des Abgasrückführungsventils; https://www.fairgarage.de/agr-ventil
[3]
Einige Diesel-Fahrer klagen über Schäden nach Rückruf - VW muss nachrüsten – Abgas-Skandal; Focus; Sebastian Viehmann; https://www.focus.de/auto/news/abgas-skandal/rueckruf-im-abgas-skandal-einzelfaelle-oder-nicht-vw-kunden-klagen-ueber-schaeden-im-abgas-system-nach-rueckruf_id_6696107.html; 14.06.2017
[5]
Verbrauch, Motorhaltbarkeit, Leistung: Die Wahrheit über die VW-Schummelsoftware – Ratgeber zum VW Abgas-Skandal; Focus; Sebastian Viehmann; https://www.focus.de/auto/news/abgas-skandal/vw-abgas-skandal-software-update-audi-kunden-berichten-ueber-zwangs-umruestung_id_5703624.html; 25.01.2017
[6]
Vom Bremser zum Antreiber – VW-Chef gegen Dieselsubventionen; n-tv; https://www.n-tv.de/wirtschaft/Vom-Bremser-zum-Antreiber-article20178900.html; 11.12.2017
[7]
Steuergelder für abgasarme Diesel? – Vorstoß aus den Ländern; ARD-Hauptstadtstudio; Arne Meyer-Fünffinger, Josef Streule; https://www.tagesschau.de/inland/diesel-steuergeld-101.html; 01.02.2018
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